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„Brauen ist das kontrollierte Erwärmen von Müsli“

Das Bier als Getränk, als Lebensmittel, als Philosophie: Man kann es fertig kaufen oder selber machen. Eine Anleitung gibt es in der Brauerei Blackman’s Craft

Westfalenblatt, 29.04.2024, Markus Poch; Fotos: Markus Poch
Kühl und süffig direkt aus dem professionellen Gärtank: Frisch gezapfte Biere, frei von Klärmitteln und Hilfsstoffen, bilden den roten Faden durch die Brau-Seminare der noch jungen Sennestädter Brauerei Blackman’s Craft.

Bielefeld. „Was Sie schon immer übers Bierbrauen wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ wäre – frei nach Hollywood-Legende Woody Allen – das passende Motto dieses Seminars. In der Sennestädter Ein-Mann-Brauerei „Blackman’s Craft“, gegründet 2020, spricht Inhaber Jörg Dörscheln (52) aus dem tiefsten seiner Seele – und aus jahrelanger Erfahrung.

Es geht rustikal zu im Industriegebiet an der Gildemeisterstraße 90b: Auf dem langen Tisch liegen Berge von knusprigen Baguettes, Käsestücken und Pfefferbeißern. Dazwischen stehen – schon morgens um kurz vor 10 Uhr – die ersten Gläser mit frisch gezapftem Bier. „Ihr esst und trinkt bis Ihr nicht mehr wollt oder könnt – das hängt von Eurer Ernährungsphilosophie ab“, empfiehlt Blackman Dörscheln („Schwarz ist bunt genug“) zur Begrüßung. „Wenn Ihr nach Hause geht, sollt Ihr Bock darauf haben, Euer eigenes Bier zu brauen.“

Ungefähr alle acht Wochen bietet der gelernte Krankenpfleger in seinen Räumen einer kleinen Gruppe von Interessenten ein solches Tagesseminar an. Dieses Mal machen zehn Männer im Alter von 35 bis 62 Jahren mit: Kfz-Meister, Werbetechniker, Logistiker, Umweltwissenschaftler, Ingenieure. Sie alle trinken gerne Bier, haben sich an die Eigenproduktion aber noch nicht herangetraut. Das könnte sich bald ändern, denn im Grunde ist es gar nicht so kompliziert. Vereinfacht gesagt, schickt man einen Getreidebrei durch verschiedene Temperaturstufen, so dass sein Zucker freigesetzt wird. Dörscheln verpackt diese Information noch populärer: „Brauen ist das kontrollierte Erwärmen von Müsli.“ Wie es im Detail funktioniert, zeigt er transparent mit einem kleinen, komfortabel ausgestatteten Eingeräte-Sudhaus samt Digital-Anzeige. „Man könnte dazu auch einfach einen großen Kochtopf, einen Rührlöffel und ein Sieb nehmen“, versichert er. Als Braubeispiel dient heute seine neuste lokale Kreation, das „Senne-Lager“, eine Alternative zu seinem bereits bewährten „Queller Pale Ale“ (QPA).

»Sich wegzuschießen und den Himmel anzubeten, gehörte schon immer zu unserer
Kultur.«

Jörg Dörscheln

Das Senne-Lager ist ein untergäriges, mildgehopftes Lager mit einem feinen, schlanken Malzkörper, das auf einen Alkoholgehalt von 5,3 Prozent kommt. Dörscheln hat eine geeignete Malzmischung vorbereitet, zerquetscht das Korn in seiner Schrotmühle, lässt es von den Teilnehmern fühlen, riechen, schmecken und die Maische letztlich in den Sudkessel füllen. Dort wird es in Schritten erhitzt und unter permanentem Umwälzen zum Kochen gebracht.

Inhaber Jörg Dörscheln (52) referiert hinter ungeschroteten Malzsorten an seiner Zapfanlage.

In der Zwischenzeit holt der Brauerei-Chef weit aus, nimmt seine Gäste mit zu den alten Ägyptern, die schon vor 10.000 Jahren Bier gebraut haben sollen. „Sich zu berauschen, sich wegzuschießen und den Himmel anzubeten, gehörte immer zur Kultur des Menschen“, erklärt er.

Im Hintergrund knackt ein Pfefferbeißer. Später sei Bier sogar Zahlungsmittel gewesen und im Mittelalter gesünder und beliebter als Trinkwasser, weil es nicht so viele Keime enthielt. Die ersten Braumeister sind wohl tatsächlich Frauen gewesen, weil die Bierproduktion lange zur klassischen Hausarbeit gehörte.

Dörscheln verliert auch einige Worte zum einst gut gemeinten, heute wegen der vielen erlaubten Brau-Hilfsstoffe mehr als umstrittenen Reinheitsgebot, zur „europäischen Bierhauptstadt“ Einbeck und zu alkoholfreien Sorten, als plötzlich der Sudkessel klingelt: der erste Hopfen will jetzt eingefüllt werden. Nachdem sie ausgiebig beschnuppert worden sind, purzeln zwei Handvoll grüner Pellets in die heiße, honiggelbe Brühe, die, so haben es die Teilnehmer mehrheitlich festgestellt, jetzt nicht mehr nach Pferdestall riecht, sondern lecker getreidig-malzig und irgendwie nach gehaltvollem Brot.

In der Gruppe, dieses Mal ausgestattet mit Kostproben des neuen Frühlingsbieres „My Bock“ (5,9 Prozent, vollmundig, mit Anklängen von Kaffee und Kakao) entwickelt sich eine lebhafte Diskussion über den Trend, dass Großbrauereien immer mehr an Umsatz verlieren und immer mehr Kleinbrauereien mit guten Craft-Bieren auf den Markt drängen. Ob sich dieser Trend auf andere Branchen wie die Landwirtschaft übertragen könnte? Schmackhafte, hochwertigere Produkte würden höhere Preise definitiv rechtfertigen, sind sich alle einig.

Wieder klingelt der Sudkessel: Es ist an der Zeit, die Kühlspirale einzusetzen. Wenig später hat das Gebräu nur noch Zimmertemperatur und landet unter Zugabe von Hefe im Gärtank. In sechs Wochen ist das Bier trinkfertig. Dann darf sich jeder Teilnehmer seinen Sechserträger Senne-Lager in der Brauerei abholen und selbst beurteilen.

Kann denn beim Brauen eigentlich gar nichts schiefgehen, will einer der Gäste abschließend wissen. „Am Ende kommt immer Bier dabei heraus. Und Fehlproduktionen sind oft der Beginn einer geilen Idee“, sagt Jörg Dörscheln zur Motivation seiner Zuhörer. Brauen sei tatsächlich nicht „fürchterlich kompliziert, aber man kann an vielen Stellen fürchterliche Fehler machen.“

Rustikale Verpflegung gehört zum Brauen unbedingt dazu: Baguette, Käse und Pfefferbeißer gegen den kleinen Hunger zwischendurch – und natürlich zum Neutralisieren des Gaumens.

Sollte das fertige Getränk wegen eines starken Geschmacks nach Schwefel oder Essig ungenießbar sein, dann hätten sich wahrscheinlich ungewollte Keime darin breit gemacht. „Hygiene ist beim Brauen das Gebot der Stunde“, betont Dörscheln. Aber auch zu viel Hopfen oder eine falsche Temperaturführung seien Fehlerquellen.

Teilnehmer Reinke Marx lässt sich dadurch nicht entmutigen: Er geht voller Zuversicht und mit dem Vorsatz aus dem Seminar, ein Queller Pale Ale zu Hause nachzumachen – in einem Einkochautomaten.

Beim Einfüllen der Maische in den Sudkessel: Brauereichef Jörg Dörscheln (vorne rechts) mit den drei Teilnehmern (von links) Reinke Marx, Niclas Barteldrees und Mathias Buchholz.

Wer sich bei Blackman’s Craft einmal umsehen möchte, bekommt dazu die praktische Gelegenheit im Rahmen des ersten Brauereifestes an diesem Mittwoch, 1. Mai, von 10 bis 20 Uhr: Dann gibt es dort – bei Bratwurst und Pommes Frites – alle Biere in entspannter Atmosphäre zum Probieren.

Die Termine der nächsten Seminare teilt Jörg Dörscheln im Internet mit unter https://blackmans-craft.de.